11. Juli 2023

Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der Landwirtschaft

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Kaum eine Branche hat sich über die Jahrzehnte so stark gewandelt wie die Landwirtschaft. Und sie entwickelt sich ständig weiter. Das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinhessen-Nahe-Hunsrück ist wichtiger Ansprechpartner für Landwirtinnen und Landwirte aus der Region. Daniel Eberz-Eder leitet die Innovations- und Digitalisierungsprojekte am DLR. Er weiß, welchen Stellenwert Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der Agrarbranche haben.

Der folgende Artikel gibt einen Überblick über den Stand der Digitalisierung in der Landwirtschaft und thematisiert die aktuellen Herausforderungen in der Branche. Darüber hinaus werden Projekte des DLR sowie ein Milchhof aus der Region vorgestellt. Abschließend geht es noch um Fragen zum Thema Datenschutz und Datensicherheit. 

 Wie digitalisiert ist die rheinland-pfälzische Landwirtschaft?

Die Landwirtschaft ist im Innovations- und Digitalisierungsprozess sehr weit, auch im Vergleich zu anderen Branchen. Die Entwicklung begann bereits vor rund 20 Jahren mit der Einführung der GPS-Technologie. Diese ist mittlerweile fest in der Branche etabliert und wird insbesondere für das automatisierte und präzise Lenken auf dem Acker eingesetzt. Rheinland-Pfalz war das erste Bundesland, das die GPS-Technik damals aus den USA in ersten Versuchen eingeführt und getestet hat, erzählt Daniel Eberz-Eder im Gespräch. Ein paar Jahre später kam das sogenannte Precision Farming auf den Markt, die teilflächenspezifische Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen. Auch diese Technik ist schon seit einigen Jahren in der Branche angekommen. „Die Entwicklungen sind rasant, insbesondere die Zyklen neuer Technologien und Innovationen der letzten drei bis fünf Jahre. Wir sehen auch in anderen Bereichen der Wirtschaft, dass das Datenaufkommen enorm zugenommen hat", berichtet Eberz-Eder.

Foto: ValentinValkov/Adobe Stock

 Wie setzen Landwirte digitale Technologien ein?

Auch wenn die Digitalisierung in der Landwirtschaft insgesamt schon weit fortgeschritten ist, ist die Heterogenität sehr groß: Nicht jeder Betrieb setzt die vorhandenen Technologien im gleichen Umfang ein. Das liegt zum einen an den individuellen Vorlieben und Geschäftsstrategien der Landwirtinnen und Landwirte. Zum anderen gibt es aber auch Unterschiede zwischen den einzelnen Produktionsbereichen. Und die sind in Rheinland-Pfalz besonders vielfältig: „Vom reinen Ackerbau, über Grünland und Viehhaltung – also der klassischen Landwirtschaft – haben wir auch einen starken Sonderkultur- und Gartenbau, Obstbau und natürlich Weinbau, der in unserer Region eine große Rolle spielt. Aber auch die Imkerei darf man nicht vergessen", zählt Eberz-Eder auf.

 Vor welchen Herausforderungen stehen landwirtschaftliche Betriebe?

Eberz-Eder sieht aktuell mehrere Baustellen und Herausforderungen bei der Digitalisierung in der Landwirtschaft: Er zählt insbesondere die Mobilfunkabdeckung, Interoperabilität und Kompatibilität sowie die Offline-Verfügbarkeit von digitalen Tools auf.Damit die Anwendungen alle funktionieren können, braucht es eine stabile Internetverbindung, die in den ländlichen Gebieten nicht immer gegeben ist. Und im Krisenfall muss die Technologie auch ohne Internet funktionieren. Das DLR arbeitet dabei nach dem Prinzip ‚Offline first'. Das bedeutet, dass Systeme auch offline agieren können sollten. Die stabile Internetverbindung und die Offline-Verfügbarkeit sind beides wichtige Kriterien für die Nutzbarkeit der Technologien. Sie entscheiden letztlich darüber, ob sich die Tools für die Landwirtin oder den Landwirt überhaupt in der Anschaffung lohnen.

 Beispiele für Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der Landwirtschaft

Mobilfunkabdeckung und Offline-Verfügbarkeit von Technologien sind ebenfalls ausschlaggebend für den Einsatz von künstlicher Intelligenz, die bereits in vielen Betrieben eingesetzt wird. So gibt es zum Beispiel schon Bilderkennungssysteme, die Schaderreger in verschiedenen Kulturpflanzen erkennen können. Aktuell arbeitet das DLR auch an Modellen mit, die in der Lage sind, den Befall von Schaderregern im Vorfeld zu prognostizieren. Ein weiteres wichtiges Thema ist das Herstellen von Schnittstellen zwischen Systemen. Dabei geht es darum, die Kompatibilität von Anwendungen untereinander zu verbessern. Ziel ist es, dass die Systeme – auch unterschiedlicher Hersteller – miteinander kommunizieren können, sprich zuverlässig Daten übertragen. Das ist zentral, damit einzelne Tools auch wirklich effizient in den landwirtschaftlichen Betrieben genutzt werden können.

 GeoBox-Infrastruktur

Um Landwirtinnen und Landwirte gezielt zu unterstützen, bietet das DLR Fachberatungen und Schulungen an. Außerdem werden Veranstaltungen und Workshops zu spezifischen Themen organisiert. „Es reicht nicht, irgendwo einen Datensatz zu haben, sondern ich muss auch wissen, was das für eine Information ist und was sie mir bringt", erläutert Eberz-Eder. Neben Beratungen und Schulungen arbeitet das DLR an verschiedenen Projekten und testet einzelne Anwendungen. Viele dieser Projekte laufen im Rahmen der GeoBox-Infrastruktur.

 Was ist die GeoBox-Infrastruktur?

Übergeordnetes Ziel der GeoBox-Infrastruktur ist es, Daten aus unterschiedlichen Quellen für die Landwirtschaft in einem digitalen Portal zu bündeln. Über die aufgebaute Infrastruktur können sie dann den Landwirtinnen und Landwirten zur Verfügung gestellt werden. Die Teilprojekte GeoBox I und II sind bereits abgeschlossen und wurden teils schon in die Infrastruktur integriert. In diesen Projekten ging es nicht darum, etwas Neues zu entwickeln, sondern bestehende Konzepte in die neue Infrastruktur einzubetten.

 Watson-Assistant: der AI Chatbot

Im Rahmen der GeoBox-Infrastruktur wurde unter anderem ein Chatbot getestet, der auf künstlicher Intelligenz basiert. Dieser Watson-Assistant wurde in einer Machbarkeitsstudie spezifisch als Resistenzmanager im Pflanzenschutz, konkret in einem Rapsfeld, getestet. Der Landwirt konnte dem Chatbot gezielte Fragen zum Pflanzenschutz stellen und bekam diese im Chat beantwortet, zum Beispiel in Bezug auf mögliche Schädlinge, die die Rapspflanze befallen können. Generative Chatbots wie zum Beispiel ChatGPT wären für den Einsatz in der Landwirtschaft nicht geeignet, denn ihnen fehlt das konkrete Fachwissen. „Wichtig ist, dass solche KI-Systeme auf den spezifischen Use Case in der Landwirtschaft ausgerichtet sind. Nur das wird den Nutzer, sprich den Landwirt, am Ende überzeugen", sagt Eberz-Eder.

Foto: DLR RLP

 Resilientes Smart Farming

Ein weiterer Teil der GeoBox-Projekte befasst sich mit der Ausfallsicherheit und damit mit der Resilienz von digitaler Infrastruktur. Die Krisen der vergangenen Jahre haben deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass Systeme auch in kritischen Situationen weiterlaufen können. Ein Beispiel dafür war die Flutkatastrophe im Ahrtal, bei der auch viele Winzer ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. Vor diesem Hintergrund arbeitet das DLR gemeinsam mit wissenschaftlichen Partnern an Konzepten für resilientes Smart Farming. Dabei geht es im Kern um die Frage, wie krisensichere und damit ausfallsichere Systeme aufgebaut werden können.

 GeoBox-Viewer

Die GeoBox-Infrastruktur soll über die nächsten Jahrzehnte hinweg dynamisch weiterentwickelt werden. In vielen Bereichen hat man sich bereits mit der technischen Machbarkeit beschäftigt, aber das Ausrollen der einzelnen Anwendungen braucht Zeit. „Einige unserer Modelle werden schon stark genutzt, aber grundsätzlich sind die Anwendungen keine Selbstläufer. Nur weil man ein Tool hat, heißt es nicht, dass es auch angenommen wird", erklärt Eberz-Eder. Eins der Modelle, das bereits von vielen genutzt wird, ist der GeoBox-Viewer. Ziel dieser Anwendung ist es, alle Informationen zu einer Fläche – zum Beispiel Bodenbeschaffenheit oder Erosionsrisiko – an einem Ort zu bündeln und dem Nutzer auf einfachem Wege zugänglich zu machen.Vorher war es üblich, dass sich Landwirtinnen und Landwirte die einzelnen Informationen bei den jeweils zuständigen Landesämtern selbst zusammensuchen mussten. Der GeoBox-Viewer erleichtert diesen Prozess und ist kostenfrei für jeden Landwirt und jede Landwirtin browserbasiert zugänglich. Das System wird fortlaufend gepflegt und landesweit um aktuelle Informationen ergänzt.

Foto: DLR RLP

 Anwendungsbeispiel: Milchhof der Familie Bange

Ein gutes Beispiel für die Einzigartigkeit der unterschiedlichen landwirtschaftlichen Betriebe ist der Milchhof Soonwald der Familie Bange. Der Hof liegt etwa vier Kilometer außerhalb der Ortsgemeinde Seibersbach im Landkreis Bad Kreuznach. Christian Bange führt den Betrieb in dritter Generation. Seit 11 Jahren leitet er den Betrieb allein, bis 2012 war er über 20 Jahre lang gemeinsam mit seinem Vater Geschäftsführer. Wie viele andere Landwirte hat er seinen Betrieb stark digitalisiert. Für seine 150 Milchkühe setzt er unter anderem ein Brunftmeldesystem ein. Alle Kühe sind mit Chip und Halsband versehen, sodass die Tiere zentral registriert und überwacht werden können. Im Stall wird außerdem ein Anschiebe-Roboter eingesetzt. Er schiebt das frische Heu zu den Kühen zurück, wenn sie es beim Fressen in den Gang gedrückt haben.

Bis Anfang des Jahres hatte Landwirt Bange auch einen Melkroboter im Einsatz, der auch in vielen anderen Betrieben Stand der Technik ist. Nach 11 Jahren fiel jedoch die Entscheidung, den Roboter wieder abzuschaffen, denn das System passte nicht zur Philosophie des Hofs. Das lag vor allem daran, dass die Kühe einem gewissen Standard entsprechen müssen, damit der Roboter sie richtig melken kann. Insbesondere Umfang und Position des Euters sind dabei entscheidend. Das stellte vor allem bei den jüngeren Tieren mit kleinem Euter ein Problem dar. „Ich möchte gerne junge Kühe mit kleinem, hoch ansitzendem Euter auf meinem Hof haben. Denn so können die Kühe auch im Alter, wenn das Euter von alleine größer wird, noch gemolken werden. In anderen Betrieben werden die älteren Kühe schon frühzeitig zum Metzger gegeben, aber mir ist es wichtig, dass die Tiere bei uns alt werden können. Zum einen, weil ältere Kühe mehr Milch geben, zum anderen, weil sie für uns wie ein Teil der Familie sind", schildert Bange. Anstatt also eine frühzeitige Schlachtung in Kauf zu nehmen, entschied er sich für das Wohl seiner Tiere und damit gegen den weiteren Einsatz des Melkroboters. „Ich wollte genau die Kühe haben, die der Roboter nicht melken konnte. Deswegen habe ich mich dafür entschieden, wieder ein Melkkarussell anzuschaffen", erklärt er die Entscheidung.

Fotos: Bange/Milchhof Soonwald 

 Datenschutz und Datenverarbeitung in landwirtschaftlichen Betrieben

Datenschutz und Datenverarbeitung spielen eine sehr große Rolle in der Landwirtschaft. Denn es geht insbesondere um sensible Daten zu Flächen, Stallwirtschaft und Tierhaltung, die auch wichtige Informationen über den Betrieb und seine Profitabilität enthalten. „Daten sind das zweite und neue Erntegut in der Zukunft. Für Landwirte ist es sehr wichtig, dass sie wissen, was mit ihren Daten passiert und wer darauf Zugriff hat", erläutert Eberz-Eder. Für viele ist die Frage nach dem Datenschutz auch ein Akzeptanzhemmnis: Wenn nicht klar ist, was mit den eigenen, betriebsinternen Daten passiert, verzichten viele lieber auf neue digitale Tools, egal wie praktisch sie sind. Genau deswegen wird bundes- und europaweit daran gearbeitet, datensichere Infrastrukturen aufzubauen. Ziel ist es, dass der moderne Landwirt selbst entscheiden kann, an wen er welche Daten weitergibt.

 Wie kann die Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz mit der Digitalisierung Schritt halten?

Für Daniel Eberz-Eder ist es besonders wichtig, dass die Landwirtschaft und ihre Akteure die Digitalisierung der Branche selbst mitgestalten können: „Es geht darum, die Dinge in die Hand zu nehmen und selbst Teil der Entwicklung zu sein, anstatt von ihr überrannt zu werden. Deswegen ist es mein großes Ziel, bei den technologischen Entwicklungen vorne dabei zu sein, die Nutzer zu sensibilisieren und frühzeitig zu schulen. Nur so können wir die Digitalisierung als den Transformationsprozess begreifen, der sie ist." Das DLR versucht deshalb, die Unternehmen in Rheinland-Pfalz und der Region aktiv miteinzubinden und gemeinsam mit ihnen die Digitalisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz voranzubringen.

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